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Symbolbild Häusliche Gewalt
Blutergüsse, Striemen, Brüche
Im Corona-Jahr warnten Hilfsorganisationen vor einem Anstieg der häuslichen Gewalt. Um Licht ins Dunkelfeld zu bringen, hat das LKA erstmals ein Lagebild erstellt. Bilanz: In Nordrhein-Westfalen stieg die Zahl der Opfer um fast 8 Prozent, 58 starben.
Streife-Redaktion

Nachbarn hörten Schreie und Hilferufe. Als die Polizei kam, fand sie eine Frau (47) in einer Blutlache in ihrer Küche. Ihr Mann hatte in blinder Wut auf sie geschossen. „Er war ein Querulant, wurde schnell aggressiv“, beschreiben Anwohner ihn. Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl wegen Totschlags.

Die Tat, die sich in Haan zutrug, ist eine von Tausenden Fällen, bei denen Polizistinnen und Polizisten aus Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr wegen häuslicher Gewalt gerufen wurden. Insgesamt leitete die Polizei 29.155 Ermittlungsverfahren ein. Das sind ca. 2.071 Fälle mehr als im Vorjahr (2019: 27.084). Statistisch gesehen ist das ein Plus von 7,65 Prozent. „Wenn die Hand ausrutscht, wie es beschönigend heißt, ein Partner geschlagen oder misshandelt wird, dann sind das keine entschuldbaren Ausnahmen, dann sind es Straftaten“, sagt Klaus Kaulich (59), Sachgebietsleiter Kriminalprävention und Opferschutz beim LKA.

Das Lagebild „Häusliche Gewalt“ wurde in NRW erstmalig für das Berichtsjahr 2020 erstellt und betrachtet ausschließlich Fälle, in denen Opfer und Verdächtige zum Tatzeitpunkt in einem gemeinsamen Haushalt lebten, unabhängig vom Beziehungsverhältnis, in dem sie zueinander standen. Somit werden hier neben Partnerschaften auch andere Beziehungsverhältnisse betrachtet (z.B. Eltern-Kind). Der Anlass für das Lagebild resultiert aus der Corona-Pandemie und der Kontaktreduzierung. Der Lockdown führte zu Diskussionen in der Politik, den Medien und der Bevölkerung über eine etwaige Steigerung von Straftaten im häuslichen Umfeld. Deshalb beauftragte das Innenministerium das LKA, ein Lagebild zu erstellen.

Die Ehefrau in Haan ist eines von 58 Opfern, die 2020 starben, weil ein Partner seine Aggressionen nicht beherrschte. Warum die Lage sich so hochgeschaukelt hat, ist nicht bekannt. Häufig ist Alkohol mit im Spiel, auch das Zusammenleben auf engem Raum oder Streit bei der Kindererziehung spielen eine Rolle. Beziehungsprobleme führen zu Stress und Wut, sagen Psychologen, die Familienstreit während Corona analysiert haben. Neben den vollendeten Tötungsdelikten weist das Lagebild 51 versuchte Fälle von Mord und Totschlag aus.

Blaue Flecken, Striemen von Gürtelschnallen, Knochenbrüche – nichts, was die Polizei nicht kennt. Im Zusammenhang mit „Häuslicher Gewalt“ erstattete sie unter anderem 19.052 Strafanzeigen wegen vorsätzlicher einfacher Körperverletzung und 4.079 Strafanzeigen wegen gefährlicher oder schwerer Körperverletzung. „Die Dunkelziffer liegt sicher sehr viel höher“, sagt Kaulich. Vermutlich trauen sich manche Opfer aus Angst und Scham nicht zur Polizei. Aber auch Abhängigkeitsverhältnisse und die emotionale Bindung zu der gewalttätigen Person können sich auf die Anzeigebereitschaft auswirken.

„Die Polizei weist gewalttätige Aggressoren auf ihr nicht hinzunehmendes Verhalten hin. Dabei wird die vom LKA NRW entwickelte Broschüre ausgehändigt, die die Konsequenzen darstellt, aber auch Beratungsangebote für die gewalttätige Person enthält“, sagt Kaulich. Um das Opfer zu schützen und eine mögliche Gewaltspirale zu durchbrechen, kann die Polizei nach einer Prüfung des Einzelfalls die gewalttätige Person der Wohnung verweisen und ein Rückkehrverbot aussprechen. „Das Opfer kommt zur Ruhe und kann Schutz und Hilfe suchen“, so Kaulich. Dafür hat sein Sachgebiet zwei Broschüren herausgebracht, in denen Opfer Anlaufstellen, Beratungsadressen und die Nummer einer bundesweiten Telefon-Hotline finden. Dort gibt es Beratung in 17 Sprachen, auch an Feiertagen und nachts.

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